M. Rickenbacher: Napoleons Karten der Schweiz

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Titel
Napoleons Karten der Schweiz. Landesvermessung als Machtfaktor 1798–1815


Autor(en)
Rickenbacher, Martin
Erschienen
Baden 2011: hier + jetzt, Verlag für Kultur und Geschichte
Anzahl Seiten
352 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Andreas Fankhauser

Die in den Jahren nach 1845 veröffentlichte Dufourkarte begründete den Weltruf der schweizerischen Kartographie. Ohne den Einfluss Frankreichs wäre jedoch Mitte des 19. Jahrhunderts eine erfolgreiche Landesvermessung auf dem neusten Stand der Technik nicht möglich gewesen. Martin Rickenbacher untersucht in seiner an der Universität Basel eingereichten Dissertation anhand schweizerischer und ausländischer Archivquellen den bislang nicht bekannten Umfang der französischen Kartierungsaktivitäten in der Schweiz zwischen 1798 und 1815, die von der schweizerischen Historiographie bis in die jüngste Zeit nicht ihrer Bedeutung gemäss gewürdigt wurden.

Als französische Genieoffiziere 1779–1781 den Grenzabschnitt zur Schweiz zwischen Genf und Basel vermassen, war Frankreich in den Bereichen «Geodäsie» und «Kartographie» die führende Macht Europas, die mit der Carte de France bereits über eine auf einer landesweiten Triangulation beruhende Karte des eigenen Staatsgebiets verfügte. Die Militär-Ingenieure hatten ihre Ausbildung an der königlichen Ecole du génie von Mézières in den Ardennen erhalten. In der 13-örtigen Eidgenossenschaft fehlte hingegen eine mit wissenschaftlichen Methoden erstellte Landeskarte. Erst kurz vor dem Ende des Ancien Régime gelangten dank privater Initiative zwei grössere Vermessungsprojekte zur Ausführung. Während der Aarauer Seidenbandfabrikant Johann Rudolf Meyer seinen Plan einer neuen Schweizerkarte zwischen 1796 und 1802 in der Form des Atlas Suisse verwirklichen konnte, kam das von der Ökonomischen Gesellschaft unterstützte Vorhaben eines Kartenwerks für die Stadtrepublik Bern und anschliessend für die ganze Schweiz von Professor Johann Georg Tralles nach der französischen Invasion 1798 zum Erliegen. In der Periode der Helvetik wurden zwar Ideen und Konzepte zur Landesvermessung entwickelt, doch scheiterten sie wegen Mangels an Fachkräften, fehlender finanzieller Ressourcen und nicht zuletzt wegen der Kurzlebigkeit des helvetischen Zentralstaats. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Tätigkeit der französischen Ingenieur-Geographen in erster Linie die genaue Kenntnis der von der Grande Nation kontrollierten Gebiete zum Zweck. Für den Ersten Konsul kam eine Karte einer Kriegswaffe zur Ausdehnung des eigenen Herrschaftsraums gleich. Aufgrund seiner strategischen Bedeutung rückte 1801 auch das Alpenland in das Blickfeld von Napoleon Bonapartes kartographischen Interessen. Daraus ging 1802 ein französisch-schweizerisches Landesvermessungsprojekt hervor. Als die Spezialisten des Bureau topographique Français en Helvétie, denen der Autor biographische Porträts widmet, 1803 ihre Tätigkeit aufnehmen wollten, sah sich allerdings der durch die Mediationsakte entstandene Staatenbund der 19 Kantone nicht imstand, die von der Helvetischen Republik eingegangenen finanziellen Verpflichtungen einzuhalten. Napoleon entschloss sich daraufhin, die Schweiz auf Kosten Frankreichs zu kartieren. Die Triangulationsmessungen und topographischen Aufnahmen dauerten von 1804 bis 1813, ohne dass das Ziel einer Carte de l’Helvétie erreicht worden wäre. Martin Rickenbachers Recherchen in den französischen Archiven ergaben, dass die Ingenieur-Geographen ein Gebiet aufzunehmen vermochten, das vom Genfersee bis zum Bodensee reichte und 14% der Fläche der heutigen Schweiz umfasste. Die Ost- und die Südschweiz blieben unberücksichtigt. Vom Austausch von Messungen und Berechnungsresultaten profitierten auch Schweizer Ingenieure und Wissenschaftler. Der Zürcher Hans Conrad Finsler, der die Idee einer Landesvermessung bereits als helvetischer Finanzminister verfolgt hatte, erreichte als eidgenössischer Oberstquartiermeister, dass die Tagsatzung 1810 und 1817 Kredite für die Durchführung trigonometrischer Vermessungen bewilligte und dass kantonale Triangulationen in Gang kamen. Das Militär übernahm, wie fünfzig Jahre zuvor in Frankreich, im Vermessungswesen zusehends die Führungsrolle. Wie stark die französischen Leistungen die Entwicklung der schweizerischen Kartographie beeinflussten, wurde in der Person Guillaume-Henri Dufours sichtbar. Der Genfer hatte die Ecole polytechnique in Paris und die Genie-Schule in Metz absolviert und leitete nach seiner Ernennung zum Oberstquartiermeister der eidgenössischen Truppen 1832 die Erstellung einer Topographischen Karte der Schweiz. Ein Entwurf des eidgenössischen Triangulationsnetzes von 1835 zeigt, dass die geodätischen Arbeiten der schweizerischen Ingenieur-Offiziere in die während der napoleonischen Epoche von den Franzosen vorgenommenen grossflächigen Dreiecksmessungen integriert wurden. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde der Beitrag der französischen Militär-Geographen in der Fachliteratur teilweise negativ beurteilt und geriet langsam in Vergessenheit.

Der Beschreibung der französischen Kartierungstätigkeit zwischen 1798 und 1815 gehen eine Einleitung mit Begriffserklärungen und Angaben über die Methodik der Landesvermessung um 1800 und ein fundierter Überblick über die Entwicklung der Kartographie in Frankreich und in der Schweiz vor 1800 voraus, der viele Informationen enthält, die bisher nur in speziellen Periodika zu finden waren. Mit Hilfe entsprechender Computerprogramme analysiert der Verfasser die Genauigkeit der zwischen 1712 und 1850 entstandenen Karten und weist nach, dass die Schweizer erst lange nach den Franzosen eine gute Kartenqualität erreichten. Interessant sind die Abschnitte über die im revolutionären Frankreich vorangetriebene Normierung der Kartographie, welche unter anderem das metrische System und die Nordorientierung der Karten mit sich brachte. Auch Erläuterungen zum französischen Kataster fehlen nicht, der ein zentrales Element zur Definition des Privateigentums und zur Durchsetzung der Steuergerechtigkeit bildete. Der Aufbau der Monographie bringt es mit sich, dass gewisse Redundanzen nicht ausbleiben. Dies vermag den positiven Gesamteindruck aber nicht zu trüben. Martin Rickenbacher legt ein Werk zur schweizerischen Kartographiegeschichte vor, das Massstäbe setzt.

Zitierweise:
Andreas Fankhauser: Rezension zu: Martin Rickenbacher: Napoleons Karten der Schweiz. Landesvermessung als Machtfaktor 1798–1815. Baden, hier + jetzt, 2011. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 64 Nr. 1, 2014, S. 154-155.

Redaktion
Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 64 Nr. 1, 2014, S. 154-155.

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